SONNENALLEE

Elvis vor dem Arbeitsamt

von Max Bach / Übersetzung von Julia Cornelius

Die Ringbahn verbindet nicht nur, sie trennt auch städtische Welten. An der Sonnenallee markieren die Gleise eine Trennung zwischen innerstädtischer Wohnbebauung und losem Gewerbemischgebiet außerhalb. Viel versprechend klingt der Stationsname; ein Kinohit aus dem Jahr 1999, eine nostalgische Komödie über das Leben in der DDR, ist nach der Straße benannt. Ebenfalls einen Filmtitel wert, führt der Sunset Boulevard in Los Angeles von Downtown durch Hollywood und Beverly Hills bis nach Santa Monica; die Berliner Sonnenallee verläuft vom Hermannplatz durch Neukölln bis nach Treptow und endet am Britzer Verbindungskanal. Glamour kann der Besucher hier nicht erwarten, oder etwa doch?

Verlässt man den Ringbahnhof durch den modernen Nordausgang und tritt auf die Sonnenallee, liegt der Imbiss Sonnengarten direkt vor einem.­­ Auf der anderen Straßenseite befinden sich das ebenfalls der Sonne gewidmete Café Miami und die Spielothek Las Palmas, deren riesige Weltallimpressionen im Schaufenster keine Einblicke gewähren.

Der Südausgang der Station führt durch das renovierte Empfangsgebäude von 1911 auf die Saalestraße und den Siegfried-Aufhäuser-Platz. Hier finden sich ein paar urige Kneipen (Am S-Bahnhof Sonnenallee und S-Bahn-Klause), kleine Eckläden, eine Eisdiele, Bäckereien sowie die "Versandkonditorei Manske", die vor Ort seit 40 Jahren Torten nur für besondere Anlässe kreiert und niemals geöffnet zu sein scheint. Die vom Platz abgehenden Straßen führen in die ruhigeren Ecken Neuköllns, den Esperantoplatz, den Richardplatz und das Böhmische Dorf, wo schwerlidrige Biertrinker auf Bänken neben den Spielplätzen den Tag verdösen.

Raffinierter Weise verzichtet der Bahnhof Sonnenallee auf einen Ausgang zum eher ungastlichen und fußgängerfeindlichen Gewerbegebiet. Kaum für die Neuköllner gedacht, befindet sich dort ein gigantischer Konferenzhotel-Komplex, das Estrel. 1995 eröffnet, liegt es da, als sei ein riesiges Kreuzfahrtschiff in einem winzigen Kanal vor Anker gegangen. In den Sommermonaten erwartet ein Biergarten am Ufer neben einem schmalen aufgeschütteten Sandstrand seine Gäste – für einen halben Liter Bier verlangt man hier fast fünf Euro (im Café Miami zahlt man gerade einmal ein Drittel), gerne legen Touristendampfer an. Eine aus Neonröhren geformte Skulptur von "Leda und dem Schwan" ziert den Ort.

Die Hauptattraktion des Estrel aber ist die Show "Stars in Concert", deren Werbeplakate in ganz Berlin hängen. Das ist B-Klasse-Unterhaltung in Reinform: Imitatoren singen und tanzen wie Elvis Presley, Michael Jackson, Diana Ross, Aretha Franklin und andere beliebte Interpreten. Seit 1997 gibt es die Show, und sie fügt sich perfekt ein in die Künstlichkeit der kleinen Estrel'schen Spaßwelt, in der die Besucher im pastelligen Mittelmeer-Ambiente der hochgewölbten Lobby unter Palmen dinieren können, gerne zwischen zwei Geschäftstreffen. Die Beliebtheit dieses Hotelkonzepts ist unbestreitbar – das Haus gehört zu den umsatzstärksten in Deutschland. Seit 2001 wird eine Erweiterung des Komplexes um ein Konferenzzentrum und zahlreiche Geschäfte auf der anderen Seite der Sonnenallee geplant. Noch ist außer Brache nichts zu sehen – Lokalpolitiker haben das Großprojekt bislang mit der Begründung blockiert, dadurch würde zu viel Kaufkraft von der nahen Einzelhandelsmeile Karl-Marx-Straße abgezogen.

Kaum kann man sich der bitteren Ironie entziehen, dass nicht weit vom prosperierenden Estrel, nur ein Stück geradeaus gegenüber dem Imbiss Curry Sonne, das Neuköllner Arbeitsamt liegt, bekannt als eines der erfolglosesten Jobcenter ganz Berlins. Im Hotel an der Sonnenallee ist eben auch nur Platz für einen Elvis.

Eine Wiederbelebung des Gebietes liegt im wirtschaftlichen Interesse der Stadtentwickler. Es gilt die Wunden zu heilen, die die Berliner Mauer in der Sonnenallee riss, ein paar hundert Meter von der Ringbahnstation entfernt. Der Glamour des Estrel jedenfalls vermag nicht allzu weit zu strahlen.

Zurück