BUNDESPLATZ

Die berühmte Ecke

von Sven Olaf Oehlsen und Mathis Sommer

Der Bahnsteig befindet sich auf Augenhöhe mit der Stadtautobahn, darunter kreuzt die Bundesallee, noch weiter unten die U-Bahnlinie 9 und zwischen ihren Gleisen ein Autotunnel für den Durchgangsverkehr; Wohnbebauung rückt von Norden nah an dieses Verkehrsknäuel heran (während der Bauzeit auch „Buddelplatz“ genannt), und im Süden blitzt ein Kirchturm auf: Hier liegt das Tor zu Friedenau, Idyll und Szenekiez in einem.

Berühmtheiten jeder Couleur entschieden sich für die besondere Mischung aus Provinz und Prominenz, Rosa Luxemburg und Theodor Heuss, Erich Kästner und Klaus Kinski. Gegenüber dem Städtischen Friedhof in der Stubenrauchstraße, auf dem heute die Ehrengräber von Marlene Dietrich und Helmut Newton zu finden sind, gründeten sich in den 1920ern die Comedian Harmonists, später schrieb Goebbels in der Fregestraße seine Sportpalastrede. Eine lebendige Literaturszene reichte im 20. Jahrhundert von Kurt Tucholsky über Max Frisch und Günter Grass bis zu Uwe Johnson. „Wolff’s Bücherei“ und die Niedstraße galten seit den 60ern als Anziehungspunkte der Schriftstellergilde, und noch heute zeugen neben den zum Lesen und Schreiben anregenden gastronomischen Einrichtungen Antiquariate und Buchläden von der intensiven Pflege der Sprache in Friedenau.

Zu Wilhelminischer Zeit begann die bauliche Entwicklung des Gebietes, die hier von keinem alten Dorfkern gestört wurde. Der große private Stadtplaner Wilhelm von Carstenn initiierte eine markante hufeisenförmige Grundfigur von Straßenzügen und Schmuckplätzen, in deren Mitte der Friedrich-Wilhelm-Platz mit der neugotischen Kirche „Zum guten Hirten“ liegt. Die Insolvenz des frühen Immobilientycoons, der in einer Nervenheilanstalt starb, stoppte die Bebauung der Parzellen mit teuren Villen und Landhäusern. Bis 1914 entstanden daneben nun im Zuge anhaltenden Bevölkerungswachstums dicht aneinander gereihte Mehrfamilienhäuser, allerdings von Gärten gesäumt und mit vornehmer Ausstattung.

Der Ringbahnhof zwischen den beiden bürgerlichen Zentren erhielt 1928 den Namen „Wilmersdorf-Friedenau“ (ab 1938 nur noch „Wilmersdorf“) und erst nach Stilllegung, Umbau und Wiedereröffnung 1993 die präzisere Bezeichnung „Bundesplatz“. An den Hauptausgängen verweisen seitdem wirre farbige Darstellungen der Wappen aller 16 Bundesländer auf den bedeutungsvollen Namen. Die Umbenennung des Platzes selbst (zuvor „Kaiserplatz“) war im Zusammenhang mit der Einrichtung einer ständigen politischen Vertretung Bonns bereits 1950 erfolgt, um in Zeiten der Teilung die Zugehörigkeit des damaligen Nicht-Bundeslandes Berlin zur räumlich fernen Bundesrepublik zu demonstrieren.

Der unscheinbare östliche Ausgang zeigt noch Mauern des alten S-Bahnhofes, und das Gewölbe seiner Unterführung wurde zu einem rund um die Uhr geöffneten kleinen Lebensmittelmarkt umfunktioniert; südlich wird man auf dem Varziner Platz von Cafés empfangen. Hier, abseits des Verkehrs und am Eingang des Wagner-Viertels, kann man wunderbar eintauchen in das gehobene und künstlerische Berlin vergangener Tage, wandeln zwischen den zahlreichen (Bau-)Denkmälern. Die Sieglindestraße mit ihrem Mix aus Galerien, Designbüros und Kinderläden beweist eindrucksvoll, dass auch das aktuelle kreativ-bürgerliche Milieu nicht nur im Prenzlauer Berg zu finden ist; vive la Bohème!

So berühmt Friedenau auch sein mag, der Bundesplatz selbst hat es zum Filmstar geschafft. Man sieht es ihm nicht an, wie er daliegt, verkehrsumtost, sein ehemals herrschaftliches Grün von der Tunneleinfahrt zerschnitten: seit 1985 steht er im Scheinwerferlicht der Langzeitdokumentation „Berlin – Ecke Bundesplatz“. Die beiden Filmemacher Detlef Gumm und Hans-Georg Ullrich beobachteten über Jahre hinweg sein gesellschaftliches Leben, begleiteten verschiedene Bewohner der Umgebung und dokumentierten dabei vor allem die kleinen Sorgen des Alltags. Entstanden ist ein „Soziogramm vom Kiez“, das überraschend große Resonanz erfuhr und auf zahlreichen Filmfestivals Stammgast geworden ist – Fortsetzung folgt.

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