HOHENZOLLERNDAMM

Aufstieg und Fall eines Herrschergeschlechts

von Mathis Sommer

Adel verpflichtet, auch an einer Autobahnbrücke. Mit keinem Familiennamen ist die Geschichte Berlins so eng verbunden wie mit dem der Hohenzollern: Als preußische Kurfürsten, Könige und später deutsche Kaiser begleiteten sie den Aufstieg des Provinzstädtchens zur Reichshauptstadt und Industriemetropole. Erst nach dem Massensterben des Ersten Weltkrieges wandte sich das Volk ab, und Wilhelm II. musste 1918 in die Niederlande fliehen. Der Hohenzollerndamm und sein Ringbahnhof erhielten ihre Namen in bloßer Ehrerbietung gegenüber dem Herrschergeschlecht Anfang des 20. Jahrhunderts, als die preußisch-monarchische Welt noch in Ordnung war. Am repräsentativen Bahnhofsgebäude, einem imposanten Wohnhaus mit Jugendstilelementen von 1910, streckt sich ein steinerner Adler nach seinem Platz an der Sonne. Eine gehobene Wohngegend sollte um die Jahrhundertwende an dieser südwestlichen Ausfallstraße der wachsenden Stadt durch eine private Grundgesellschaft entstehen, heute beherrscht die Autobahn mit ihren Auf- und Abfahrten die Gegend.

Im Hintergrund glänzt das mit Aluminium bekleidete, 1977 fertig gestellte 23-geschossige Hochhaus der „Deutschen Rentenversicherung Bund“. Die Abteilung 80 ist hier bezeichnender Weise zuständig für alles, was mit Rehabilitation zu tun hat. Die deutsche Altersversicherung geht immerhin auf die Bismarcksche Sozialgesetzgebung zurück und wurde bereits 1891 eingeführt. Dabei liegt eine gewisse Kontinuität in der Bedeutung des bürgerlich-konservativen Wilmersdorfs als Verwaltungsstandort, weitere Behördenbauten, unter anderem aus nationalsozialistischer Zeit, befinden sich am östlich gelegenen monumentalen Fehrbelliner Platz.

Gemäß dem Leitsatz Friedrichs des Großen, jeder möge nach seiner Façon selig werden, war Religion in Preußen stets verbunden mit einer pragmatischen Offenheit. Späte Zeugnisse davon finden sich entlang der von Villen gesäumten Berliner Straße stadteinwärts. Eine dreischiffige Basilika im russisch-byzantinischen Stil der Russisch-Orthodoxen Gemeinde wurde 1938 von der Preußischen Bau- und Finanzdirektion errichtet, als Ersatz für einen durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) übernommenen Vorgängerbau. Die Nationalsozialisten protegierten die Gemeinde aufgrund ihrer feindlichen Haltung gegenüber dem sowjetischen Kommunismus. Die dem Taj Mahal nachempfundene Wilmersdorfer Moschee von 1925 ist die älteste in Deutschland. Zuvor war 1915 auf Kosten des Deutschen Reiches in Wünsdorf eine Moschee aus Holz für muslimische Kriegsgefangene bereit gestellt worden (das so genannte „Halbmondlager“). Bis zum Terror der Nationalsozialisten besaß Wilmersdorf auch eine große jüdische Gemeinde, deren erst 1930 erbaute Synagoge in der Prinzregentenstraße nur acht Jahre nach ihrer Eröffnung während der Reichspogromnacht nieder gebrannt wurde.

Im Zwickel des Autobahnkreuzes von A100 und A104 südlich der S-Bahn liegt der Sportpark Wilmersdorf, eine verstohlene Gedenktafel erinnert an seine Entstehung nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Million Kubikmeter Trümmerschutt wurden damals bewegt, und es entstanden im Laufe der Jahre, eingestanzt in die Brache zwischen Industrie und Verkehr, ein Leichtathletikstadion für einst bis zu 50.000 Zuschauer, ein Eisstadion, ein Sommerbad und weitere Anlagen „als Stätte für den friedlichen Wettstreit der Jugend“. Wer heute unter der Woche eine Möglichkeit zur konzentrierten Leibesertüchtigung sucht, abseits des Laufstegs Tiergarten, der kommt auf diesen gewiss geeichten 400 Metern bestimmt auf seine Kosten.

Die räumliche Zäsur der Schneise von Ring- und Stadtautobahn, obendrein getrennt durch einen völlig marginalisierten Grünstreifen, bestimmt das Bild des Hohenzollerndamms. Die geschichtliche Zäsur zweier auf engste mit Deutschland verknüpften Weltkriege überschattet heute seine einst ruhmreiche Namensgebung. Irgendwo zwischen Rente, Religion und Stadionrund liegt hier eine Spannung in der Luft, die noch stärker wirkt als das fortwährende Rauschen der Autos.

Zurück