Karte Südkreuz

SÜDKREUZ

Spaziergang: Geheimnisse des Südens

Download der Spaziergangskarte (A4)

von Julia Cornelius

Am Südkreuz erwarten den Besucher zunächst viel grauer Beton und Asphalt zwischen Stadtautobahn und Möbelkaufhaus. Doch nur ein paar Schritte entfernt versteckt sich eine illustre Geschäftswelt hinter Kasernenfassaden, harren Zeugnisse einer wechselvollen Geschichte ihrer Entdeckung und lädt ein innerstädtisches Naturschutzgebiet zu ausgedehnten Wanderungen. Diese Station hat mehr zu bieten als nur Umsteigemöglichkeiten und IKEA.

Die Ankunft im Bahnhof Südkreuz eröffnet einen tiefen Einblick in die bisweilen verquere Welt der Bauherren, Architekten, Planer und Denkmalschützer: Um das letzte Relikt des alten Bahnhofsgebäudes von 1901 vor dem Abriss zu bewahren, sanierte und integrierte man dessen Uhrenturm [1] in den Neubau des Parkhauses Süd. Von diesem Unikum aus geht es in die nahe liegende General-Pape-Straße. In den ehemaligen Kasernengebäuden vor Ort hat sich eine bunte Mischung von Nachnutzern einquartiert: vom Sommelier im Weingewölbe [2] über die Meister der Meditation [3] bis zur traditionellen Aal- und Fischräucherei der Familie Krohnen [4]. Am Ende der Straße taucht ein mächtiges Gebilde auf – der sogenannte Schwerbelastungskörper [5]. Der 1941 von Zwangsarbeitern errichtete 12.650 Tonnen schwere Betonzylinder sollte testen, ob der sandige Untergrund der Hauptstadt dem megalomanen Triumphbogen der Nord-Süd-Achse standhalten würde. Albert Speers Planungen zufolge wäre er sechsmal so groß geworden wie der Arc de Triomphe in Paris. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Daten der Probebelastung ausgewertet und 1948 veröffentlicht: 19 Zentimeter tief war der Betonkoloss inzwischen eingesunken. Der märkische Sand hätte der Belastung durch den Triumphbogen nicht in der gewünschten Stabilität standgehalten – ohne weitere Verdichtungsmaßnahmen hätte Bauwerk T nicht gebaut werden können.

Weiter geht's den Loewenhardtdamm entlang zur Gartenstadt „Neu-Tempelhof" [6], einem idyllischen Kleinod, das eher an Suburbia denn die Metropole Berlin erinnert. Etwa 1000 Einfamilienhäuser im Grünen mit viel Licht, Luft und Sonne wurden hier in den 1920er Jahren errichtet, ursprünglich gedacht für Invaliden des Ersten Weltkriegs, die sich ein Eigenheim in der Reformwohnanlage dann allerdings nicht leisten konnten. Die auch als „Fliegersiedlung" bekannte Gartenstadt – die Straßen sind nach Militärfliegern des Ersten Weltkrieges benannt - beherbergt ein architektonisches Highlight: die katholische Pfarrkirche St. Judas Thaddäus [7], ein wunderbarer Kirchenbau von 1959. Rosafarbener Sichtbeton und mit Mosaiken in Türkis so erhalten, zeugen noch heute von einer Eleganz und Stilreinheit, wie Architekt Reinhard Hofbauer dies sie ursprünglich intendierte.

Zurück in Richtung S-Bahnhof Südkreuz wartet ein weiterer Geschichtsort am Werner-Voß-Damm: Die dortige Gedenkstätte Papestraße [8] erinnert an die über 2000 Inhaftierten des früheren SA-Gefängnisses, in dem gefoltert und gemordet wurde.

Vom Werner-Voß-Damm geht es nun über die Alboinstraße und den Sachsendamm zum Naturpark Südgelände [9], dessen wild wuchernde Vegetation hier und da den Blick auf Gleisstränge freigibt. Nach der kriegsbedingten Stilllegung des Anhalter Bahnhofs versank das frühere Eisenbahngelände in einen Dornröschenschlaf. Seltene Pflanzen- und Tierarten siedelten sich hier über die Jahrzehnte ungestört an. Heute erwartet die Besucher ein eigentümlicher Stadtraum voll unberührter Natur, rostiger Ruinen und moderner Kunst: unter den Birken liegen Schienen, hinter Dickicht verbirgt sich das Bahnbetriebswerk, mitten im Wald steht eine Lokomotive. Eine ehemalige Lokhalle [10] wurde zu Bildungs-, Integrations- und Kunstraum, der Chancen und Perspektiven Möglichkeiten für Berliner Jugendliche schafft. Informationstafeln bieten verschiedene Routen durch das 18 Hektar große Gelände an – der Weg zurück zum Südkreuz ist dadurch leicht zu finden. Alternativ erlaubt die am südlichen Parkende gelegene S-Bahnstation Priesterweg eine Abkürzung: mit der S 2 oder S 25 Richtung Bernau oder Henningsdorf geht es zügig zur nördlichen Station Südkreuz, von wo aus die Ringbahnfahrt fortgesetzt werden kann.

1. Bahnhof Südkreuz | Ein Uhrenturm in einem Parkhaus: das letzte Relikt des Bahnhofsgebäudes von 1901, das den Größenwahn der Nationalsozialisten, den Stillstand des Eisernen Vorhangs und den Bau des neuen Südkreuzes überstand | S-Bahnhof Südkreuz, Suadicanistraße, Ausgang Parkhaus Süd

2. Weingewölbe | Ein Winzerhof in einem der ehemaligen Kasernengebäude inklusive Raritätenkäfig und Bacchusstube | General-Pape-Straße 30 | www.weingewoelbe-berlin.de

3. Karunasom | Praktizierter Pazifismus: ein buddhistisches Zentrum und Institut für Meditation in einer einstigen Truppenunterkunft | General-Pape-Straße 30 | www.karunasom.de

4. Spez. Aal- und Fischräucherei Eleonore Krohnen | Der Familienbetrieb räuchert und verkauft hier seit 1903 Fisch von „A wie Aal bis Z wie Zauberlachs" | General-Pape-Straße 52 | www.krohnenfisch.de

5. Schwerbelastungskörper | Mit seinem Gewicht von 12 650 Tonnen sollte er den Berliner Boden auf seine Standfestigkeit für den geplanten Bauten Albert Speers testen | General-Pape-Straße 60 | berliner-unterwelten.de/schwerbelastungskoerper.334.0.html

6. Gartenstadt „Neu-Tempelhof" | Aus dem Parade- und Exerzierplatz der preußischen Armee wurde eine Gartenstadt, deren Doppel- und Reihenhäuser zunächst vornehmlich an Kriegsgeschädigte verkauft werden sollten – die konnten sich die hohen Preise nicht leisten, und die Gartenstadt wurde zur Mittelstandskolonie. Die Straßennamen der „Fliegersiedlung" erinnern an Militärflieger des Ersten Weltkrieges | Manfred-von-Richthofen-Straße | www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/organisationseinheit/planen/gartenstadt_start.html

7. Katholische Pfarrkirche St. Judas Thaddäus | Eine wunderbare Betonkirche, stilrein in rosafarbenem Sichtbeton, türkisem Mosaik, und innen wie außen noch so erhalten und gestaltet, wie Architekt Reinhard Hofbauer dies 1959 intendierte | Bäumerplan 23 | benedict-mueller-verlag.com/page3.php?view=thumbnailList&category=1

8. Gedenkstätte Papestraße | In Erinnerung an die über 2000 Inhaftierten des ehemaligen SA-Gefängnisses soll hier im Turnus 2010/11 eine Gedenkstätte eröffnen. Bis dahin gibt es in unregelmäßigen Abständen Führungen der Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg und der Museen Tempelhof Schöneberg | Werner-Voß-Damm 54a | www.gedenkstaette-papestrasse.de

9. NSG Schöneberger Südgelände | Nach erfolgreichem Kampf einer Bürgerinitiative unter Landschaftsschutz gestellt. Das Zusammenspiel zwischen Natur, Eisenbahnrelikten und Kunst ist einzigartig | Prellerweg 35 | www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/stadtgruen/gruenanlagen/de/gruenanlagen_plaetze/schoeneberg/naturpark_suedgelaende

10. Lokhalle auf dem Südgelände | Die ehemalige Lokhalle ist heute Galerie und Bildungswerkstatt für Jugendliche: Durch Kultur, Kunst, Handwerk und Technik Bildungschancen eröffnen und Integration erleichtern, ist das Ziel der Initiative. Kurzum, ein „Raum der Möglichkeiten" | Lokhalle Südgelände (direkt neben dem Wasserturm) | bildungswerk-lokhalle.de

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