SEITENBLICK

Die Ringbahn als Werbeblock

von Mathis Sommer

Berlin ist nicht nur die Hauptstadt, sondern trotz geringer Kaufkraft auch eine der führenden Shoppingmetropolen Deutschlands, fortlaufend entstehen neue und immer größere Konsumtempel. Seit 2007 sorgt „Alexa“ am hoch frequentierten Alexanderplatz für Gesprächsstoff (vor allem die rosafarbene Betonfassade), entlang der Ringbahn sieht es nicht anders aus: An der Frankfurter Allee stolpert man förmlich ins „Ring-Center I-III“, am Bahnhof Schönhauser Allee kommt man um die „Schönhauser Allee Arcaden“ kaum herum, das „Gesundbrunnencenter“ wächst geradezu bedrohlich über der fast gleichnamigen Ringbahnstation empor, und zuletzt bemächtigte sich das „Hermann-Quartier“ einer wohl vertrauten Ortsbezeichnung.

Mit dem Konsum untrennbar verbunden und das nicht erst seit dem Aufkommen der Berliner „Nachwende-Mall“ ist die Werbung. Alfred Döblin, der dem Alexanderplatz in seinem berühmten Roman gleichen Namens von 1929 ein literarisches Denkmal setzte, schrieb dazu: „Darum sage ich: Es wird keiner die Großstadt und ihr Leben schildern, der nicht die Reklame aufnimmt in seiner Schilderung als das Wort der Häuser und der nicht allerhand von ihr lernt. Also Reklame sei dem versammelten Volk vorgeführt in ihren beiden neuen Rollen: Als Instrument zur sprachlichen Darstellung der Großstadt, flink, hochgeschürzt, hochbestrumpft, unberockt – und dann als treffsichere Schilderin des einfachen Alltags [...].

Gerade entlang der Ringbahn in der Peripherie, wo Raum und Flächen billiger zu haben sind als im Zentrum und der Verkehr dennoch für hohe Publikumsfrequenz sorgt, bestimmt die Werbung das Bild der Stadt. In den Zeiten rasanten Bevölkerungswachstums vor dem Ersten Weltkrieg stampften Baugesellschaften die Mietskasernen en Block aus dem Boden. Die zur Bahn hin freiliegenden Brandwände dienten als Feuer hemmende Trennung zum angrenzenden Nachbarhaus, wurden aber schon bald zu charakteristischen Projektionsflächen des bunten Berliner Geschäftslebens.

Und was Alfred Döblin vor langer Zeit in seine Schreibmaschine hämmerte, gilt immer noch. Die Brandwandwerbung erzählt Geschichten von bekannten Unternehmern wie dem Makler Willi Bendzko, dessen verblassender Firmenname immer noch mehrfach zu sehen ist. Auch außergewöhnliche Unternehmerinnen haben Spuren hinterlassen, wie die motorsportbegeisterte Heidi Hetzer, die mit über 70 Jahren unbeirrt das 1919 gegründete Autohaus der Familie führt und Rallyes fährt. Die Hauswände erzählen aber auch von der Herkunft der Anwohner, wenn eine schwedische Einrichtungskette parallel auf deutsch und türkisch wirbt; und die Mauern erzählen von Traditionsläden wie dem Möbelhaus Hübner, das 1908 sein erstes Geschäft in der Steglitzer Straße eröffnete und heute vermutlich an der skandinavischen Konkurrenz schwer zu knabbern hat. Mal unterhaltsam, mal eher langweilig, selten geistreich und häufig penetrant, manchmal kaum mehr zu entziffern, unweigerlich verblassend und dennoch erstaunlich beständig regt die „Reklame“ zum Konsum an ... zum Konsum der Großstadt.

Zurück